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Amerika in Berlin



Vergiss New York! Berlin ist die Stadt, die niemals schläft. Das sagen sich immer mehr Künstler und Kreative, aber auch Geschäftsleute. Was Amerikaner an der deutschen Hauptstadt fasziniert.

Die Alliierten sind längst abgezogen und doch leben in Berlin mehr Amerikaner denn je. Als Hochburg der Kreativen wird die Stadt schon "Williamsburg East" genannt - nach einem Teil des New Yorker Künstlerviertels Brooklyn.
Fast gleicht sie mit ihren literarischen Salons und Tanzetablissements auch in dieser Hinsicht den Goldenen Zwanzigern: Brain Drain aus der ganzen Welt, nicht zuletzt aus den Staaten. Wie damals leben heute wieder schätzungsweise 20.000 US-Bürger in Berlin.

Suche nach intellektueller Triebkraft


"Die Stadt ist meine Inspiration", sagt Warren Neidich, der seinen Wohnsitz - nach ersten Schaffensaufenthalten 1994 und 2002 - endgültig von New York nach Berlin verlegt hat. Das Atelier des Konzeptionskünstlers liegt in Kreuzberg, seine Wohnung in Mitte. Dort lebt er in der Linienstraße, der Galerienmeile von Berlin.
"Berlin liebt die Künstler: Es stellt nicht nur preiswerte Ateliers zur Verfügung, es hat vor allem auch eine lebendige, internationale Szene und eine intellektuelle Triebkraft", sagt Neidich, während er durch sein großzügiges Atelier wandelt.
Ein Raum ist vollends von der Installation "Lost Between the Extensivity/Intensivity Exchange" eingenommen: Leere Ausstellungsvitrinen, auf die er komplexe Mind Maps projiziert, die das institutionalisierte Machtverhältnis zwischen Museen, Künstlern und Gesellschaft zeigen.
Seine Kunstwerke haben immer auch einen politischen, ökonomischen und psychologischen Ansatz. Von der Performance "Each Rainbow must Retain the Chromatic Signature, it...", die er in der Berliner Galerie Magnus Müller gezeigt hat, zeugen heute noch acht breite, bunt gestreifte Pinsel an der Wand in seinem Atelier. Sie stehen für die Darstellung des Regenbogens in verschiedenen Kunstwerken unterschiedlicher Epochen, wobei letztere die Wahrnehmung der Künstler beeinflusst haben. Für Warren Neidich sind die "Rainbow Brushes" damit ein Symbol für die Evolution von Geist und Gehirn.
Am Londoner Goldsmiths College hatte Neidich seinen Lehrauftrag, in New York, Stockholm, Madrid seine großen Ausstellungen. Und doch, inspirieren lässt er sich woanders: "Berlin ist heute der 'place to be' für Künstler - und zwar weltweit!"

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© Fragasso
Berlin: Stadtleben wie in New York.

Tausche Broadway gegen Berlin


Lange bevor Berlin zum "place to be" wurde, haben die Entertainerin Gayle Tufts und ihre Freundin Cynthia Barcomi New York verlassen. Cynthia kam bereits in den 80er Jahren, Gayle Anfang der 90er.
Heute sitzen die beiden ehemaligen Tänzerinnen in Cynthias Café "Barcomi`s" in den Sophienhöfen in Mitte und plaudern über ihre Anfänge in Berlin: "Gehe ich als zweite Besetzung an den Broadway - oder als erste an die Spielstätte von Cabaret? Die Frage musste ich mir damals stellen", erzählt Gayle.
Angefangen hatte alles vor fast 20 Jahren mit einem Engagement in der Tanzfabrik in Kreuzberg. "Das habe ich sofort angenommen, schon allein wegen der Krankenversicherung." Und ihr New Yorker 16-Quadratmeter-Flat habe sie auch leichten Herzens gegen die 200-Quadratmeter-Altbauwohnung von Freunden in Berlin getauscht.
Das war kurz nach der Wiedervereinigung, als erste Künstler Berlin wiederentdeckten. "Heute sind ganz klar viel mehr Amerikaner hier", so Gayle. In Gang gesetzt worden sei die Zuzugswelle mit den exorbitanten Mieten in New York, dann die Depression nach dem 11. September - und die Regierung Bush habe ihr Übriges getan, Intellektuelle zu vertreiben.
Wild mit der Pfeffermühle über ihrem Tuna Salad gestikulierend beteuert die Entertainerin: "Ick liebe Berlin. Ick liebe Berlin so sehr. Ick bin eine Berlinerin!?" Dabei hat sie Tränen in den Augen in ihrer ihr eigenen Begeisterung, die auch ihre Shows so lebendig macht.
"Ich glaube, es ist der Enthusiasmus, der uns unterscheidet - und der Fleiß, der uns eint", konstatiert Gayle schließlich trocken. Bei ihren Shows ist der deutsch-amerikanische Unterschied immer wieder ein Thema und zwar auf "Denglisch", wie sie selbst das Sprachgemisch nennt.

Bagelbacken für den Neubeginn


Cynthia präsentiert ihrer Freundin die roten High Heels, die sie gerade in Mitte erstanden hat. Ansonsten alles schwarz: Shirt, Rock, Strümpfe. "Ich glaube, in einer globalisierten Welt gibt es immer weniger Unterschiede. In New York habe ich mich im Künstlermilieu bewegt - und hier auch."
Dabei hat sie Mitte der 90er noch Aufsehen erregen können, und zwar mit einem einfachen Gebäck: "Als ich merkte, ich komme aus dem Alter, um als Tänzerin zu arbeiten, habe ich angefangen Kaffeebohnen zu rösten und Bagel zu backen - und sie ins Schaufenster gehängt. Die Leute sind stehen geblieben und haben mit den Fingern 'auf die Brötchen mit Loch' gezeigt." Das war noch im ersten Barcomis in der Bergmannstraße.
Ruhig, besonnen, geradezu ernst sagt das die Inhaberin der beiden Cafés, die ihren Namen tragen und auch heute noch die wohl besten Bagels, den feistesten American Cheesecake und die schokoladigsten Muffins in ihren Auslagen offerieren.
"Meine Schokolade-Kirsch-Muffins sind eine kulturelle Brücke - eine Anlehnung an die Schwarzwaldtorte", sagt Cynthia. Mit dem in den USA beliebten Banane-Wallnuss-Geschmack hätten hier nur wenige etwas anfangen können.
Schon 1994, lange bevor erste Kaffeehausketten wie Starbucks sich in der Stadt breit machten, hat sie sich selbstständig gemacht. "Ich bin jahrelang morgens um drei aufgestanden und habe selbst gebacken", sagt Cynthia und fügt mit einem gewissen Triumph in der Stimme hinzu: "Aus dem Nichts heraus - und ohne jede Ersparnisse!"
Nur schwerlich habe sie eine Bank gefunden, die ihr das Startkapital für ihre bis heute erfolgreiche Geschäftsidee geben wollte. Was es noch nicht gebe, das könne auch nicht erfolgreich sein, so sei damals die Argumentation gewesen. "Ich vermisse einfach den Unternehmergeist in Deutschland. Hier glaubt keiner an den American Dream!"
Trotzdem, das Image der Deutschen in den USA habe sich sehr zum Positiven gewendet, spätestens seit der WM und seit Knut auf der amerikanischen Vanity Fair abgebildet gewesen sei.
Deutschland verlassen möchte sie auf keinen Fall, schon allein wegen ihrer Töchter nicht, die hier sicherer und unbehelligter vom Schönheitswahn aufwachsen würden. Mit ihrem Mann und den vier Kindern lebt sie in Zehlendorf, wo die Kinder die John-F.-Kennedy-Schule besuchen.

Investoren und Manager aus den Staaten


Einst war Berlin-Zehlendorf mit seinen 9.000 Alliierten eine Art "Little America": Stützpunkt, Schulen und Wohnblocks lagen eng beieinander. 1994 zogen die letzten GIs ab. Jetzt sind wieder 12.500 Amerikaner in Berlin gemeldet. Schätzungsweise 8.000 kommen noch hinzu, weil sie wegen doppelter Staatsbürgerschaft oder Studentenaufenthalts nicht in den Statistiken erfasst sind.
Selbst Filmstars wie Tom Cruise residieren zumindest zeitweise in Berlin. Aber nicht nur Hollywood, auch amerikanische Investoren, der Coca-Cola-Konzern und weitere Unternehmen haben die Stadt als Wirtschaftsfaktor entdeckt. Mittlerweile zieht es nicht nur Kreative, sondern auch andere Berufssparten hierher.
So wie Scott Robinson aus Ohio. Seit 2008 ist der Wirtschaftswissenschaftler Senior Marketing Manager bei Neofonie, einem Unternehmen, das in den Anfängen an der Entwicklung der Internetsuchmaschine Fireball beteiligt war und heute als Full-Service-IT-Dienstleister für große Verlage und Nachrichtenportale tätig ist.
Die Firma ist gut im Geschäft: "Wir sind zu 120 Prozent ausgelastet, da wird auch schon mal am Wochenende gearbeitet", erzählt Scott. Aber das sei nichts im Vergleich zu seinen Jobs in den USA mit nur fünf Tagen Jahresurlaub und ständiger Wochenendarbeit. "Wenn ich in den USA sonntags ins Büro gekommen bin, habe ich viele Kollegen getroffen. Hier schaut man mich komisch an, wenn ich davon erzähle."
Wie Cynthia Barcomi vermisst auch er die "Can Do"-Mentalität in Deutschland. Scott und seine Frau Tia haben 2007 einfach alle Ersparnisse genommen und sind nach Berlin geflogen, um dort einen Job zu suchen. Auch sie hat den Sprung ins neue Leben gemeistert und ist heute im Management einer Sprachschule tätig. Schon zu Studienzeiten in Pennsylvania träumten sie beide von einem gemeinsamen Leben in Berlin. "Ich liebe die Berliner Schnauze", sagt Scott absolut ernst. Aus Disputen in Kneipen und auf der Straße seien schon die besten Gespräche entstanden. In die USA fliegt er nur noch selten auf Heimatbesuch.

Man bettet sich wie in den USA


Anders Layana Flachs-Rickards. So wie die einen den Intercity Express Berlin - Hamburg nehmen, so ist die Deutschamerikanerin zwischen den USA und Deutschland unterwegs. Ihr Vater kommt aus New York und ist Musiker in New Jersey, ihre Mutter Gastronomin in Berlin.
Wie sie zwischen Vater und Mutter pendelt, so managt die Visagistin auch noch ihre Jobs im amerikanischen Kindergarten und als Verkäuferin im Showroom der Firma Lexington. "Alles ganz easy", meint Layana. Die Bettwäsche, die Textilien, das Porzellan im New England Style sind seit 2006 in der Linienstraße zu haben. Eine gute Location, liegt der Showroom doch gleich neben der Metropolitan School, wo viele Amerikaner arbeiten oder ihre Kinder hinbringen.
"Sie kaufen sich ein Stück Heimat bei uns im Geschäft. Aber seit Obama Präsident ist, kommen auch immer mehr deutsche Amerika-Fans", erzählt Layana. Mitte sei mittlerweile unglaublich multikulturell, insbesondere der Zuzug von Amerikanern habe geboomt, eine echte "New York Explosion": "Berlin erlaubt eben, anders zu sein. Viele meiner Freunde fühlen sich hier freier als in den USA."


© Text: AMERICA/Saskia Eversloh
 

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