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Atlantic City, New Jersey © Christian Heeb
© Christian Heeb

Dreimal blaue Sieben



Die Spielerstadt Atlantic City gilt als ungekrönte Hauptstadt des Kitsches - und der Melancholie. Jedes Jahr empfängt sie fast so viele Besucher wie Las Vegas oder New York. Ein Porträt des Vergnügungsmekkas am Jersey Shore.

Die ersten 20 Dollar verspiele ich an der "Triple Lucky Seven" - einem blinkenden, klimpernden Spielautomat im Erdgeschoss des Hotel-Casinos "Resorts". Kirschen, Melonen und Orangen bringen trotz "Triple-Lucky"-Taste wenig Glück: Nach einer knappen halben Stunde ist mein Guthaben verbraucht.
Mit den zweiten 20 Dollar wechsle ich zu den "Triple Butterfly Sevens" und versuche mein Glück nun mit Schmetterlingen statt Früchten. Der Jackpot beträgt 10.998 Dollar und 78 Cents. Um diese Stadt nicht arm zu verlassen, habe ich mir ein Limit von 100 Dollar gesetzt.
Atlantic City, New Jersey © Christian Heeb
© Christian Heeb
Glitzerwelt Atlantic City.
Eine dreistündige Busfahrt mit dem "Academy Casino Express" bringt mich vom New Yorker Busbahnhof nach Atlantic City. 29 Dollar kostet eine solche "Gambling Tour", hin und zurück. Inbegriffen sind 20 Dollar Spielguthaben und ein Buffet im angesteuerten Casino.
Jedes Jahr zieht das Spielermekka am Jersey Shore 30 Millionen Besucher an - fast so viele wie Las Vegas oder New York. Doch anders als der Vergnügungsmetropole in Nevada haftet Atlantic City ein zweifelhafter Ruhm an: Die Stadt erzählt von verblühter Pracht, und die Melancholie sitzt den Planken des Boardwalk und den Mauern der Casinos in allen Poren. Doch das Müde und Schwere macht auch einen Teil der Anziehungskraft dieses schillernden Ortes aus.

Plastik statt Pennies


Eine billige Jeansjacke mit Gummizug, eine ausgeleierte Jogginghose: Die Kleidung der Mitfahrenden macht klar, dass das Angebot der Bustouren vor allem auf die ärmeren sozialen Schichten zugeschnitten ist. Beim Ausstieg drückt eine lächelnde Hostess jedem eine Cash-Karte in die Hand, die man gegen das entsprechende Spielguthaben einlösen kann. Der "Slot" an den "Slot-Machines" dient nur noch Plastikkarten - echte Pennies schlucken die Automaten nicht mehr. Jedem Einzelnen wünscht sie "Good Luck!".
Die Casinos sind verbunden durch einen sechs Meilen langen Boardwalk, von dem aus man in ihre dunklen Höhlen abtauchen und später daraus wieder auftauchen kann. Mainstream-Pop dringt aus den rostigen Lautsprechern der Souvenirgeschäfte und überlagert sich mit dem Meeresrauschen und dem Radio des Ladens nebenan. Über allem liegt das Kreischen der Möwen. Wem das Gehen zu anstrengend ist, der kann sich in "Push Carts" über die Promenade schieben lassen, einer kleinen, mit Plastikfolie gegen den Wind geschützten Taxi-Kabine auf drei Rädern.
Atlantic City, New Jersey © Christian Heeb
© Christian Heeb
Atlantic City, Hauptstadt der Melancholie.
Die Bänke sind vielfach von Obdachlosen besetzt, die den Boardwalk offensichtlich als ihr Wohnzimmer in Besitz genommen haben. Ihr Schlafzimmer liegt ein Stockwerk tiefer, unter der schützenden Bretterkonstruktion. Vielleicht zieht sie die Spendierlaune mancher Gäste an oder die frische Luft. Es heißt, viele Spielsüchtige seien einfach hier hängen geblieben, nachdem sie ihr gesamtes Geld verloren hatten. Anders als in Las Vegas, wo das Verlieren zum Spiel gehört und im Toben der Lichter und Kostüme sofort wieder aufgeht, als wäre nichts geschehen, bleibt das Pech an Atlantic City haften.

Playboys und Gangster


Ende des 19. Jahrhunderts entstand hier der erste Boardwalk Amerikas - glamourös und lebendig. Atlantic City war "the place to be", die Piers und Vergnügungshallen boten Jahrmarktsattraktionen von den Entfesselungs-Kunststücken des Harry Houdini bis zum Känguruboxen.
Mitte des 20. Jahrhunderts war von der alten Pracht nichts mehr übrig, und keiner in der Stadt wusste, wie es weitergehen sollte. 1976 erhielt Atlantic City als erste amerikanische Stadt nach Las Vegas die Lizenz zum Glücksspiel und versammelte alle Kräfte, um die Wende vom heruntergekommenen Seebad zur glitzernden Glücksspielmetropole zu vollziehen.
Doch so sehr sich die Stadt auch mühte: Der Ruf der Zweitklassigkeit haftete ihr weiter an. Das Geld aus den Casinos wurde durch die Gemeindekassen nur durchgeschleust, in den 1980er Jahren verkam der Ort zur Karikatur seiner selbst: Die Schminke blätterte immer mehr ab, Atlantic City galt als Hafen für abgehalfterte Playboys oder Möchtegern-Gangster, wie ihnen Burt Lancaster in Louis Malles Film "Atlantic City, USA" 1979 ein unvergessliches Denkmal setzte.



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© Text: Hannes Klug
 
 

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