OK

Cookies ermöglichen eine bestmögliche Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Mehr Infos

Atlantic City, New Jersey © Christian Heeb
© Christian Heeb

Dreimal blaue Sieben



Zocken wie im alten Rom


Die meisten Casino-Hotels haben künstliche Welten zum Thema, die plakativ und leicht eingängig sind: Das "Showboat" stellt einen riesigen Mississippi-Dampfer dar, das "Caesars" inszeniert das alte Rom
, das "Trump Marina" dagegen könnte auch an der polnischen Ostsee stehen.
Das "Resorts" mit seinen Art-Déco-Türmen war das erste Casino-Hotel, das 1976 in Atlantic City eröffnete. Das Borgata, der neue Star unter den Häusern, liegt nicht am Boardwalk, sondern einen knappen Kilometer im Inland, auf der anderen Seite der Durchgangsstraße.
Der Fahrer des Taxis Nummer 473 heißt Faiyaz H. Awan, kommt aus Pakistan und lebt seit 22 Jahren in den USA. Er versucht, die Ampeln zu vermeiden, und so fahren wir im Zickzack durch Sträßchen eines Wohnviertels mit überquellenden Müllcontainern, das offenkundig wenig mit den Schmuck-Fassaden der Casinowelt gemein hat.

Riesige Clubkomplexe


Atlantic City hat gerade mal 40.000 Einwohner - das sind weniger, als Angestellte in den Casinos arbeiten. Unter der Woche sei hier wenig los, sagt Faiyaz, doch am Wochenende strömten die jungen Leute in Massen ins Tropicana, ins Taj Mahal und vor allem ins Borgata. Den Casinos sind riesige Clubkomplexe angeschlossen, in denen Party-People zu tausenden das Wochenende durchfeiern.
In den fünf Minuten, die unsere Fahrt dauert, entwirft Faiyaz H. Awan ein weltpolitisches Gemälde, das keinen Zweifel am nahenden dritten Weltkrieg lässt. Ein politischer Graben trenne Russland, Nordkorea, China und Iran von den alten westlichen Industriemächten. "Sieht aus, als wäre die Welt gespalten", sagt der Taxifahrer in ernstem Ton. ?Diese Politiker treiben die Menschen in den Untergang.? Trotzdem vergisst er nicht, mir noch "Good Luck!" zu wünschen.

Sonnenbrillen und Perücken


Das Borgata hat 43 Stockwerke, besitzt über 2.000 Gästezimmer, 13 Restaurants, drei Nachtclubs, zwei Bars. Die täglichen Einnahmen betragen rund zwei Millionen Dollar. Die Arkaden dominiert eine bombastische, von Kronleuchtern bestrahlte Säulenarchitektur, in den Spielhallen gehen Gestalten von Tisch zu Tisch, die wahrscheinlich an Orten wie diesem zum Inventar gehören: Männer mit leuchtend schwarz gefärbten Schnurrbärten und verspiegelten Sonnenbrillen, Frauen mit weithin erkennbaren Perücken. Am Roulettetisch sitzen ausschließlich Asiaten in steifen Anzügen.
2006 betrugen die Einnahmen der Casinos in Atlantic City nach Angaben der Casino Control Commission 5,2 Milliarden Dollar. Das sind fünf Prozent mehr als im Vorjahr. Ein Grund für die Stadtväter, einen neuen Frühling für die gealterte Diva auszurufen.
Seit hier 2003 das 1,1 Milliarden Dollar teure "Borgata Hotel Casino & Spa" des Las-Vegas-Tycoons Steve Wynn eröffnet hat, geht es wieder aufwärts mit Atlantic City. Der bronzefarben verspiegelte, nachts lila leuchtende "Tower of Cool" ist der Jungbrunnen der alternden Stadt und gilt vielen hier als Zeichen für eine hoffnungsvolle Zukunft.

Butterfahrt ins Spielerparadies


Doch Atlantic City wäre nicht Atlantic City, schlüge nicht umgehend die nächste Hiobsbotschaft ein - kaum, dass vom Aufschwung die Rede ist: Der Milliardär Donald Trump nämlich will seine drei Casino-Hotels in Atlantic City verkaufen. Das Trump Taj Mahal, Trump Marina und Trump Plaza sind hoch verschuldet. Trumps Casino-Konzern entging 2005 nur haarscharf dem Bankrott, und das Bilanzjahr 2006 schloss er mit Verlusten von 10,3 Millionen Dollar ab.
In der Schlange zum Buffet im "Resorts" lerne ich Betty und Price Davis aus Bethlehem, Pennsylvania kennen. Betty ist 88, ihr Mann Price 85. Price stützt sich auf eine Gehhilfe. Dennoch stehen die beiden geduldig an: Die Wartezeit nur für den Einlass beträgt eine dreiviertel Stunde! Und fast alle der Wartenden sind "senior citizens". Nun bestätigt sich also doch das Vorurteil, das diese Stadt so gerne abstreifen würde: Busse karren seit Jahrzehnten Rentner aus dem ganzen Nordosten für Ausflüge oder Butterfahrten nach Atlantic City. Wer oft genug hier war, erhält ein Treue-Set aus Kochtöpfen oder einen Rucksack als Prämie. Und eine "goldene Karte" für den bevorzugten Einlass zum Buffet.

Spaß am Geld verlieren


Betty und Price Davis kommen an jedem zweiten Mittwoch im Monat mit ihrer Kirchengruppe hier her. Zweieinhalb Stunden dauert eine Fahrt, um 19 Uhr geht ihr Bus zurück. Das Buffet ist üppig: Es gibt Turkey, Pürree, Nudeln und Reissalat, "Stuffing" und Rote Beete, Muscheln und Shrimps. Wie hoch kann man Cookies stapeln?
Betty und Price nehmen noch ein zweites Stück Kuchen und eine Portion French-Vanilla-Softeis. Price hat sein Budget von 100 Dollar heute schon verspielt, Betty dagegen hat ihres auf 250 Dollar vermehrt. "Die Leute hier haben Spaß daran, ihr Geld zu verlieren", sagt sie lachend. "Ich bin froh, dass wir jetzt hier sitzen und ich nicht alles wieder verspiele."
Beide besuchen Atlantic City seit 20 Jahren. Sie haben eine Tochter und einen Sohn, die Tochter hat vor kurzem in Italien geheiratet, erzählen sie. Es war das erste Mal, das Betty mit dem Flugzeug flog. Price glaubt, dass seine Krankheit von der Arbeit in der Kohleindustrie herrührt, wo er von 1939 bis 1983 mit giftigen Chemikalien hantierte. Die Nerven in seinen Füßen, sagt er, sendeten keine Signale mehr an sein Gehirn. Das Ehepaar erinnert sich an Spaziergänge über den Boardwalk, von einem Casino zum nächsten. Bald, fürchtet Price, wird er in einer kleinen Maschine sitzen, die ihn elektrisch von einem Ort zum nächsten rollt.

Ungeduld und Kleinmut


Mir fällt die Taste "Max Bet" ganz rechts am Automaten auf. Noch traue ich mich nicht, sie zu drücken, und prompt erscheint fünfmal die Sieben - mit Schmetterlingen. Warum macht das nur vier Dollar 20? Ich versuche alles - ziehe am Hebel des einarmigen Banditen statt nur auf den Knopf "Spin Reels" bzw. "Repeat Bet" zu drücken. Alles ist eine Frage des Rhythmus. Will man nicht einsehen, verloren zu haben und versucht es wütend noch mal, verliert man grundsätzlich wieder. Am Schlimmsten für einen Spieler ist Ungeduld. Gibt man klein bei und setzt niedrig, folgt ein winziger Gewinn, der einem den eigenen Kleinmut nachdrücklich vor Augen führt. Am Schlimmsten für einen Spieler ist Feigheit.
20-facher Gewinn, aber nur neun Cent gesetzt: Ich unterstelle der Maschine, besonders niedrige Gewinne aus reinem Hohn auszuschütten. Jetzt aber: dreimal blaue Sieben und Triple Lucky. Man muss das Glück führen wie ein Pony.
Mark und Jennifer aus dem Norden New Jerseys sind für einen Kongress hier, der in wenigen Minuten im Borgata Event Center im ersten Stock beginnt. Es geht um Techniken des Faltens von Postumschlägen. Sie haben nur ein paar Minuten Zeit, spielen für fünf Dollar, drücken dreimal auf "Max Bet" und haben schon 150 Dollar auf der Guthabenseite. Ich dagegen füge mich bei einem Restgeld von unter fünf Dollar irgendwann in mein Schicksal.
Alle Hoffnung auf den großen Coup ist jetzt verflogen. Vier Dollar 30. Ich bestelle mir einen Long Island Ice Tea. Getränke sind hier drin umsonst. Kellnerinnen mit sehr kurzen Röcken bringen sie. Es folgt ein Scheingewinn von zehn Cents. Doch das Verhängnis ist nicht mehr aufzuhalten: Ein Dollar 92. 18 Cents. Null. Keine Ahnung, wie spät es ist. Good Luck.


Zurück zu Seite 1

© Text: Hannes Klug
 
 

Aktuelle Ausgabe, America Journal
 

AMERICA 1/2024 ist da

 Heftinhalt

Hier können Sie kostenlos Informationsmaterial bestellen.
zum Infoservice


We’ll keep you posted!
Jetzt anmelden zum
AMERICA Newsletter

Die aktuelle Ausgabe und Hefte aus den letzten Jahren können Sie  hier bestellen
 Zum Abonnement

Your America

Die Welt der Ureinwohner

Native Americans in den USA, First Nations in Kanada: Besuche bei den nordamerikanischen Ureinwohnern werden immer populärer. Das AMERICA Journal berichtet regelmäßig.

 zum Thema
 

Slideshow: Texas, einmal anders

Nachthimmel über der Pennybacker Bridge in Austin

Texas ist das Land der Weite und der glitzernden Metropolen, der Cowboys und der Öltürme. Doch es gibt auch ungewöhnliche Blicke auf den Lone Star State. 13 Impressionen!

 mehr lesen
 

 



Abo Abo kuendigen Kontakt Impressum Datenschutz
Seite empfehlen